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Stefan Rahmstorf

Klimakrise Was der Eisverlust in der Arktis für uns bedeutet

Stefan Rahmstorf
Ein Gastbeitrag von Klimaforscher Stefan Rahmstorf
In der Arktis hat der Juli Hitzerekorde, ausufernde Brände und massiven Eisschwund gebracht. Die Folgen kommen auch bei uns in Deutschland an.
Eismasseverlust im hohen Norden: "Es wäre ein großer Fehler, den Eisschwund der Arktis für ein Problem nur der Eisbären zu halten"

Eismasseverlust im hohen Norden: "Es wäre ein großer Fehler, den Eisschwund der Arktis für ein Problem nur der Eisbären zu halten"

Foto: Paul Souders/ Getty Images

Sollten Außerirdische die Erde aus der Ferne beobachten, so wüssten sie, dass mit unserem Planeten etwas nicht stimmt. Die nördliche Polkappe der Erde ist innerhalb nur weniger Jahrzehnte dramatisch geschrumpft. Noch nie wurde in einem Juli eine derart geringe Eisbedeckung des Nordpolarmeeres verzeichnet wie in diesem Jahr. Der Negativrekord ist Teil eines stetigen Abwärtstrends infolge der Erderhitzung. Der Arktische Ozean hat in den letzten vierzig Jahren rund drei Millionen Quadratkilometer Eisbedeckung verloren - das entspricht der achtfachen Fläche von Deutschland (siehe Grafik).

Doch dieser Arktis-Sommer ist nicht nur wegen der geringen Eisbedeckung extrem. Eine monatelang anhaltende extreme Hitzewelle hat Sibirien heimgesucht, mit einer neuen Rekordtemperatur von 38 Grad Celsius innerhalb des Polarkreises am 20. Juni. Einer Studie  zufolge wäre diese Hitzewelle ohne Klimawandel so gut wie unmöglich gewesen. Begünstigt durch Trockenheit und Hitze  verdunkelten extreme Waldbrände in Sibirien  den Himmel mit Rauch, teils bis nach Alaska hinüber. Die Auswertung von Holzkohle in Sedimentbohrkernen aus Alaska legt nahe, dass die Zunahme der Feuer im hohen Norden inzwischen ein seit mindestens 10.000 Jahren einmaliges Niveau  erreicht hat.

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Foto: Astrid Eckert

Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.

Die Temperaturen in der Arktis sind in den vergangenen 40 Jahren rund dreimal so stark  gestiegen wie der globale Durchschnitt. Grund für diese besonders heftige Erwärmung ist vor allem die verstärkende Rückkopplung durch den Eisschwund: je weniger Eisfläche da ist, desto weniger Sonnenwärme wird ins All zurückgespiegelt.

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Die Wärme der letzten Jahrzehnte übertrifft deutlich die Temperaturen der vorangegangenen zwei Jahrtausende in der Arktis . Auch die Meereisdecke für die letzten 1450 Jahre konnte aus Eisbohrkernen und anderen sogenannten Proxidaten rekonstruiert werden  (siehe Grafik). Seit dem frühen Mittelalter hat die Eisbedeckung im Spätsommer demnach zunächst leicht zugenommen (im Einklang mit den Temperaturdaten, die eine Abkühlung aufgrund der Orbitalzyklen der Erde zeigen), bis die durch fossile Energienutzung verursachte moderne Erwärmung einen massiven Eisrückgang eingeleitet hat.

Rekonstruktion der Eisbedeckung durch Kinnard et al . – die Unsicherheit der hellblauen Kurve liegt bei rund +/- eine Million Quadratkilometer. In Dunkelblau sind Beobachtungsdaten ab dem Jahr 1870 gezeigt, in rot der Trend der Satellitendaten.

Jahrhundertelange Versuche, eine Nordwestpassage durch den Arktischen Ozean zu finden, scheiterten im Eis - tragischer Höhepunkt war das tödliche Ende der Franklin-Expedition im Jahr 1845. Roald Amundsen gelang dies schließlich 1903–1906 mit zwei Überwinterungen. Im Jahr 2007 war dann erstmals seit Menschengedenken die Nordwestpassage eisfrei; ein Jahr später dann sogar die Nordwest- und die Nordostpassage. Letztere wurde von Frachtschiffen der Bremer Beluga-Reederei im Sommer 2009 zum ersten Mal durchfahren. Inzwischen gehört der Schiffstransport durch die Arktis schon fast zur Normalität, und die Arktis verkommt zunehmend zum Schauplatz des Wettlaufs um Rohstoffe und Einfluss der Großmächte.

Doch was in der Arktis geschieht, bleibt nicht in der Arktis. Erwärmung und Eisschwund dort betreffen uns alle. Nicht nur weil die dortige Erwärmung zu einem rasch wachsenden  Beitrag Grönlands zum globalen Meeresspiegelanstieg führt. Oder weil der tauende Permafrost die Methan freisetzt.

Schon jetzt verändern die Vorgänge in der Arktis auch bei uns das Klima. Denn das große Temperaturgefälle zwischen den Subtropen und der Arktis treibt unser Wetter in den mittleren Breiten. Die starke Erwärmung der Arktis verringert diese Temperaturdifferenz. Daher schwächt sich vor allem im Sommer der polare Jetstream ab , der sich in rund zehn Kilometer Höhe um die Nordhalbkugel schlängelt, und in dessen Windungen die Hoch- und Tiefdruckgebiete eingebettet sind, die unser Wetter bestimmen. Dadurch wird das Wetter im Sommer stabiler und weniger wechselhaft, bestimmte Wetterlagen dauern länger an, wie etwa der "ewige Sommer" 2018 in Europa . Noch immer leidet insbesondere der Wald in Deutschland unter den Folgen der beiden vergangenen Dürrejahre.

Hinzu kommt, dass der schwächere Jetstream leichter in Schwingungen gerät, die sich wochenlang aufschaukeln können – ein Phänomen, das nach aktueller Forschung auch durch den zunehmenden Temperaturkontrast zwischen Land und Ozean verstärkt werden dürfte. Landgebiete heizen sich stärker auf, daher sind in Deutschland bereits zwei Grad  Klimaerwärmung zu verzeichnen. Meeresgebiete erwärmen sich dagegen langsamer - große Teile des nördlichen Atlantiks kühlen sich gar infolge der Golfstromabschwächung ab . Anhaltende starke Wellen im Jetstream führen zu Extremwetter rund um die Nordhalbkugel . So könnten künftige Dürren mehrere Kornkammern der Welt  gleichzeitig treffen und zu gefährlichen Ernteausfällen führen.

Es wäre daher ein großer Fehler, den Eisschwund der Arktis für ein Problem nur der Eisbären zu halten, und die rot blinkenden Warnsignale zu ignorieren.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version waren in der Bildunterschrift zur zweiten Grafik im Text die Farben der Kurven falsch wiedergegeben. Wir haben den Fehler korrigiert.

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