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Greta Thunberg auf dem Weg ins Kanzleramt.

© Kai Nietfeld/dpa

Greta Thunberg bei Angela Merkel: „Wir sind nicht die Art von Leuten, die Zeit aufs Feiern verwenden“

Angela Merkel war mal „Klimakanzlerin“. Die Aktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer fordern von ihr die gleiche Konsequenz wie in der Corona-Krise.

Sie nehmen das Virus ernst, sehr ernst. Schließlich steht dahinter eine wissenschaftliche Expertise, dass Corona je nach Verlauf ein tödliches Virus sein kann. Und so marschieren Greta Thunberg (17), Luisa Neubauer (24), die Belgierinnen Anuna de Wever (19) und Adélaïde Charlier (19) mit Masken durch das Regierungsviertel an der Spree und passieren zu Fuß das Tor des Kanzleramtes. Von ihrer Corona-Disziplin kann mancher etwas lernen.

Drinnen nehmen sie mit Angela Merkel an einem großen runden Tisch Platz, mit sattem Mindestabstand; Thunberg behält die Maske auf, wenn andere reden. Bei der anschließenden Pressekonferenz werden auch alle Journalisten aufgefordert, Masken zu tragen, obwohl sie unter freiem Himmel auf der Terrasse des Hauses der Kulturen der Welt stattfindet.

Im Prinzip ist die Corona-Krise eine der wenigen Krisen, bei der die Politik fast weltweit der Wissenschaft folgt. Wenn das auch beim Thema Klima die Leitschnur wäre, müssten die jungen Damen hier vielleicht gar nicht sitzen. Auch hier sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse relativ klar. Selbst am Polarkreis purzeln die Temperaturrekorde, der Permafrost taut auf und anderswo werden Dürren, Hitzewellen und schwere Unwetter fast zur neuen Normalität. Aber die Politik handelt nur sehr bedingt nach dem, was die Wissenschaft empfiehlt.

90 Minuten hat sich die Kanzlerin Zeit genommen, dabei türmen sich gerade wieder die Probleme auf: Steigende Corona-Zahlen, die Lage in Belarus, die schwierige deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Im Prinzip fordern sie von Merkel, nicht nur die Corona-Krise als solche zu behandeln, sondern eben auch den Klimawandel. Und hat nicht gerade Corona gezeigt, dass man auch anders leben und vor allem weniger fliegen kann?

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Wenige Zugeständnisse von der Bundeskanzlerin

Große Zugeständnisse bekommen sie am Ende nicht, aber es geht vor allem um das Signal, dass das Thema nicht von der Tagesordnung verschwindet. Derzeit laufen Verhandlungen über eine Erhöhung des EU-Klimaziels, Deutschland hat die EU-Ratspräsidentschaft inne.

Angela Merkel sitzt mit Luisa Neubauer und Greta Thunberg im Bundeskanzleramt zusammen.
Angela Merkel sitzt mit Luisa Neubauer und Greta Thunberg im Bundeskanzleramt zusammen.

© Steffen Kugler/Courtesy of Bundesregierung/Handout via REUTERS

Doch gerade die wirtschaftlichen Einbrüche durch Corona könnten den Umbau der Wirtschaft hin zu klimaschonenderen Technologien weltweit lähmen, da das alles Geld kostet.

Immerhin sichert Merkel den Aktivisten nach deren Angaben zu, das geplante weltweit größte Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Mercosur-Bund nicht zu ratifizieren, wenn das Mitgliedsland Brasilien sich nicht eindeutig zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes bekennt.

Zwei Jahre Fridays for Future – aber kein Grund zum Feiern

„Wir wollen, dass die Staats- und Regierungschefs diese Klimakrise auch als Krise behandeln“, sagt die aus Schweden angereiste Thunberg nach dem Treffen in der Pressekonferenz. Es ist an diesem 20. August genau zwei Jahre her, dass sie sich erstmals vor den schwedischen Reichstag gesetzt hat und einen Schulstreik für das Klima begonnen hat.

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Daraus wurde eine weltweite Bewegung, Fridays for Future. „Wir sind nicht die Art von Leuten, die Zeit aufs Feiern verwenden“, sagt Thunberg angesprochen auf das Jubiläum. Ohnehin ist die Bilanz aus ihrer Sicht ernüchternd. Und Corona führte dazu, dass Thunberg und Co. nicht mehr so präsent sein konnten als Mahner - und die Schulstreiks weltweit nicht mehr stattfinden konnten. Über 125.000 Menschen haben einen Offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs unterschrieben, der echtes Handeln statt schöner Worte einfordert.

„Es gab einen Wunsch von Frau Neubauer (…) was ein solches Gespräch angeht. Deshalb möchte ich mich diesem Gespräch nicht verweigern, sondern freue mich, dass der Wunsch nach diesem Gespräch besteht", meinte Merkel im Vorfeld gewohnt trocken, wie es zu dem ungewöhnlichen Besuch gekommen ist.

Wegen des Corona-Stillstands könnte Deutschland übrigens sogar das Klimaziel 2020 (40 Prozent weniger Treibhausgasausstoß als 1990) doch noch erreichen, laut dem jüngsten Klimabericht sanken die Emissionen bis 2019 um rund 35,7 Prozent.

Neubauer hatte Merkel vor dem Treffen vorgeworfen, in 15 Jahren Kanzlerschaft seien die Emissionen praktisch nicht gesunken, was einem Faktencheck nicht standhält. Und die Aussage zeigt den schmalen Grat zwischen drängender Ungeduld und Unsachlichkeit, die der Bewegung Glaubwürdigkeit kosten kann.

Merkel betont, es gebe immerhin im EU-Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten nun „endlich einen signifikanten Zertifikatepreis, was dazu geführt habe, dass die Exporte von deutschen Braunkohlekraftwerken ins europäische Ausland nicht nur Coronabedingt, sondern auch durch den Preis des CO2 zurückgegangen seien. "Was bei uns zu einer Senkung der CO2-Emissionen geführt hat". Aber auch sie weiß: Eine Rezession ist noch kein echter Strukturwandel hin zu einem nachhaltigen Herunterfahren klimaschädlicher Ausstöße.

„Noch nie ist die Klima- und Umweltkrise als Krise behandelt worden“

Merkel war ja mal sogenannte Klimakanzlerin, aber konnte auch nicht das Scheitern des Klimagipfels 2009 in Kopenhagen verhindern. Dadurch wurden noch einmal entscheidende Jahre verloren, bis es 2015 in Paris doch noch mit einem Weltklimavertrag klappte.

Der soll - zumindest auf dem Papier - die Erderwärmung auf zwei Grad, besser auf 1,5 Grad gegenüber dem Beginn der Industrialisierung begrenzen, doch die aktuelle Entwicklung macht das fast illusorisch. „Wenn es um konkrete Schritte geht, stellen wir fest, dass wir nach wie vor im Stadium der Verweigerung festhängen. Noch nie ist die Klima- und Umweltkrise als Krise behandelt worden", kritisierten die Aktivisten im Vorfeld.

Und wie war es nun bei der Kanzlerin? Merkel habe gesagt, sie wolle versuchen, mutiger zu sein, berichtet Neubauer. Die vier warnen vor einem Ökozid, fordern ein rasches Herunterfahren aller Emissionen. Das generelle Problem: In Schlüsselländern wie den USA und Brasilien reagieren mit Donald Trump und Jair Bolsonaro Präsidenten, die den Klimawandel für ein Märchen halten und entsprechend anders handeln.

Zwist innerhalb der FFF-Bewegung?

Merkel ist Pragmatikerin, zumindest sollen im Zuge der Corona-Pakete jetzt noch einmal die Investitionen in Klimaschutztechnologien hochgefahren werden, für E-Autos gibt es etwa bis zu 10.000 Euro Kaufprämie. Und womöglich klappt es mit dem Kohleausstieg auch vor dem Jahr 2038.

Doch die junge Generation wird nicht locker lassen - und diese andere Krise nicht verschwinden wie ein Virus. Auch wenn die Pandemie noch nicht überwunden ist, soll es am 25. September wieder einen globalen Klimastreiktag geben, „online und offline“, wie Neubauer es formuliert.

Und wenn man auf den Straßen unterwegs sei, dann natürlich immer nur „coronakonform“. Allerdings scheint es auch in der FFF-Bewegung zu knirschen, andere Aktivisten wurden angeblich erst kurz vorher vom Merkel-Treffen informiert, fühlten sich übergangen. Entsprechend musste Greta Thunberg in einer etwas seltsam wirkenden Aussage betonen, dass man hier nicht im Namen der Fridays for Future Bewegung spreche, sondern als individuelle Klimaaktivisten.

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