Kommentar

Ein historisches Urteil: Klima-Aktivisten siegen gegen die Credit Suisse mit 6:0

Völlig überraschend spricht das Lausanner Bezirksgericht die Aktivisten frei, die in einer Bankfiliale Tennis gespielt hatten. Das Urteil könnte den Umgang mit zivilem Ungehorsam für immer verändern. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn sich weitere Gerichte mit der heiklen Fragestellung auseinandersetzen würden.

Antonio Fumagalli, Renens
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Die Klima-Aktivisten trafen sich zu einer Partie Tennis – in einer Filiale der Credit Suisse.

Die Klima-Aktivisten trafen sich zu einer Partie Tennis – in einer Filiale der Credit Suisse.

Martial Trezzini / Keystone

Die Sache wäre mit einem simplen Strafbefehl erledigt gewesen, den kaum jemand zur Kenntnis genommen hätte – und nun spricht plötzlich die halbe Welt von der Waadtländer Klimajugend, die in einer Bankfiliale Tennis spielte. Greta Thunberg solidarisierte sich mit ihnen, die «New York Times» berichtete, und sogar Roger Federer, der sich sonst nie politisch äussert, zeigte seine «Bewunderung». Das alleine wäre schon mehr gewesen, als sich die Aktivisten erhofft hatten. Doch am Montagabend folgte für sie völlig überraschend noch das Sahnehäubchen: Das Lausanner Bezirksgericht sprach sie vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs frei. Um im Tennis-Slang zu bleiben: Der erste Satz der Partie Klimajugend gegen Credit Suisse endete mit einem diskussionslosen 6:0.

Begonnen hat alles am 22. November 2018: Gut zwei Dutzend Mitglieder der Bewegung Lausanne Action Climat (LAC) begaben sich damals, in Sportkleider gehüllt, zu einer Filiale der Credit Suisse in Lausanne. Kaum waren sie im Innern, stellten sie ein Netz auf und simulierten einen Tennismatch. Ihre Botschaft: Die Grossbank bediene sich des positiven Images ihres Werbeträgers Roger Federer, während sie gleichzeitig in umweltschädliche Technologien und Firmen investiere.

Es geht ihr ums Prinzip

Die anwesenden Bankkunden mögen über die spielerische Aktion geschmunzelt haben, rechtlich schien der Fall jedoch klar: Es handelt sich um Hausfriedensbruch, so dachte man. Die Waadtländer Staatsanwaltschaft verurteilte im Sommer 2019 zwölf Klima-Aktivisten entsprechend per Strafbefehl – so wie es bei Massen- und Bagatelldelikten tagtäglich zuhauf vorkommt. In den allermeisten Fällen akzeptieren die Verurteilten das Verdikt, doch der Klimajugend geht es um das Prinzip. Sie will die Öffentlichkeit aufrütteln. Also erhob sie Einsprache, und es kam zum Prozess.

Ein erster Erfolg wurde den Aktivisten geschenkt: Sie hatten die Deutungshoheit, weil es weder Staatsanwaltschaft noch Credit Suisse für nötig hielten, vor dem Einzelrichter aufzutreten. Die 13 (!) Top-Anwälte, welche die Klimajugend ehrenamtlich verteidigten, konnten den hiesigen Finanzplatz ohne Widerrede für sein «heuchlerisches Verhalten» anprangern. Doch sie hätten es selbst kaum für möglich gehalten, dass sie damit Erfolg haben würden – bis Einzelrichter Philippe Colelough am Montagabend verkündete, die Aktivisten wegen eines «rechtfertigenden Notstands» vom Vorwurf der Hausbesetzung freizusprechen. Angesichts des drohenden und bereits jetzt festzustellenden Klimanotstands sei ihre Aktion «notwendig und angemessen» gewesen. Die Demonstranten hätten keine andere Möglichkeit gehabt, als mit ihrer durchdachten Aktion darauf aufmerksam zu machen.

«Für die Geschichtsbücher der Schweizer Rechtsprechung»

Das Urteil kann an die nächste Instanz weitergezogen werden. Doch es ist schon jetzt historisch: Zum ersten Mal seit dem Aufkommen der Klimabewegung gibt ein Schweizer Gericht Aktivisten recht. Angesichts der Dringlichkeit der Situation wird ziviler Ungehorsam ausdrücklich nicht mehr als unzulässiges Mittel erachtet, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Die Anwälte übertreiben deshalb wohl nicht, wenn sie sagen, dass das Urteil Signalwirkung haben dürfte und der Tag «in die Geschichtsbücher der Schweizer Rechtsprechung» eingehen wird. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn sich noch weitere Gerichte mit der heiklen Fragestellung auseinandersetzen würden. Schliesslich ist es alles andere als ausgeschlossen, dass diese die Legitimität der eingesetzten Mittel anders beurteilen würden.

Auch Einzelrichter Colelough betonte in seiner Begründung, dass das Urteil kein Freipass für jegliche weitere Aktionen sei. Dennoch hätte sich die Schweizer Klimabewegung nichts Besseres wünschen können. Obwohl der Wahlherbst passé ist, deutet nichts darauf hin, dass ihr Elan abbricht. Die fast täglichen Hiobsbotschaften, sei es von Klimaforschern oder von der australischen Feuerfront, spielen ihr in die Hände.

Zwar müssen die Aktivisten aufpassen, keine autoritären Tendenzen aufkommen zu lassen – wie in der Waadt, als sie den Medien die Berichterstattung diktieren wollten. Und sie müssen lernen, dass in einem Land mit all seinen direktdemokratischen Einflussmöglichkeiten das Verständnis für zivilen Ungehorsam, trotz dem nun erfolgten Urteil, enge Grenzen hat und schnell in Ablehnung kippt. Aber die Bewegung hat es trotz geringer Erfahrung geschafft, im politischen Diskurs mehr und mehr wahr- und ernst genommen zu werden. Von Weltstars – und nun sogar von einem Gericht.